Hilfe für Rehkitze

Hilfe für Rehkitze: Alexander Dreher hat sich verletzten oder verwaisten Rehkitzen verschrieben. Bei Bad Wurzach betreibt er seit drei Jahren die erste offiziell anerkannte Rettungsstation in Baden-Württemberg. Mittlerweile bringt man ihm Kitze von überall her.

Alexander Dreher: Rehkitzaufzucht mit der Flasche
Alexander Dreher füttert 2 seiner Rehkitze. Foto: privat

Beim Anblick süßer Rehkitze denken viele an den Walt-Disney-Film mit dem niedlichen Bambi, dessen Leben auf der Kinoleinwand in Gefahr war. Wie vielen Gefahren ein kleines Rehkitz in der Realität ausgesetzt ist, darüber wissen die meisten viel zu wenig. Immer wieder sind die Muttertiere, die Geißen, Opfer eines Verkehrsunfalls und lassen die verwaisten Kitze unversorgt zurück. Auch Mähmaschinen oder freilaufende Hunde sorgen nicht selten für schwere Verletzungen oder gar den Tod.

Für Alexander Dreher ist die Rettung dieser Kitze eine Aufgabe, der er sich mit vollem Einsatz stellt, die ihm aber auch schwere Entscheidungen abverlangt: „Man muss sich bei Verletzungen ehrlich fragen: Kann ich da überhaupt noch helfen? Das ist oft nicht einfach.“ Bei Bad Wurzach betreibt er seit rund zwei Jahren die erste offiziell anerkannte Rettungsstation in Baden-Württemberg, ehrenamtlich und neben seinem Studium zum Grundschullehrer. Das kostet nicht nur enorm viel Zeit, sondern auch Geld – denn Förderung durch das Land gibt es bisher nicht. Dreher zahlt die Kosten – auch für den eventuell notwendigen Tierarzt – aus der eigenen Tasche: „Das geht nur mit Anfragen an Firmen, ob sie etwas sponsern“.

Der Anfang ist entscheidend

Die erste Zeit, nachdem ein Kitz zu im gebracht wurde ist besonders kritisch. „Die Kitze haben Angst und Hunger und schreien. Sie brauchen ein oder zwei Tage, bis sie bei mir trinken“, erzählt er. Alle zwei bis drei Stunden sitzt Dreher dann – auch nachts – mit gefülltem Fläschchen neben dem Tier im Stall. Da wollen die Augen schon mal zufallen, und manchmal ist es „echt frustrierend“, wenn es nicht klappen will mit der Nahrungsaufnahme. Umso glücklicher ist er, wenn das Kitz die Flasche annimmt – bei fast 90 Prozent gelingt das. Den anderen, meist sind sie älter als fünf Wochen, hilft eine Notlösung: Milch wird aus einer Schale angeboten. Das gelingt nicht immer: „Manchmal habe ich Pech und verliere den Kampf.“

60 Kitze fanden in zwei Jahren in seiner Rettungsstation Aufnahme und Hilfe: „Es werden immer mehr. Aber mehr schaffe ich wirklich nicht.“  Im Mai und Juni, wenn die Kitze normalerweise geboren werden, ist Alexander Dreher im Dauerstress. „Man bekommt kaum Schlaf, besonders wenn man verletzte Kitze versorgt“, sagt er. Da wolle der Körper schonmal schlapp machen, doch „diese Arbeit gibt einem so viel zurück“.

Dreher wohnt zuhause auf dem großen elterlichen Grundstück. Dort haben er und seine Familie kleine Blockhütten für die Kitze errichtet. Zur Gewöhnung an die Auswilderung, die nach knapp einem Jahr erfolgen kann, steht ein offener Bereich bereit. „Dort rufe ich sie und sie kommen und holen sich die Milch ab.“  Die Trennung von den Schützlingen, die durch Ohrmarken als aufgezogene, gerettete Tiere erkennbar sind, fällt Dreher trotz der Bemühungen, keine Bindungen aufzubauen, oft schwer: „Das geht einem nah.“ Er kennt jedes Kitz genau, alle haben einen Namen bekommen, auf den sie reagieren. „Bambi“ ist nicht dabei: „Da sind sofort zu viele Emotionen da.“

Rehkitze sind keine Schmusetiere

Es reichen schon die süßen braunen Knopfaugen oder das Fell mit den hübschen hellen Flecken – schon erobern die Kleinen die Herzen im Sturm. Was ihnen nicht unbedingt zum Vorteil ist: Immer wieder nehmen Menschen anscheinend verlassene Kitze mit oder streicheln sie. Damit machen sie die Rehkitze zu Waisenkindern, weil die Mutter sie mit dem fremden Geruch nicht mehr annimmt. „Es müsste in den Schulen viel mehr darüber informiert werden, dass man ein Kitz erst einmal aus sicherer Entfernung beobachten sollte. Die Rehmütter halten sich meist in der Nähe auf und legen ihren Nachwuchs zum Schutz vor Fressfeinden im hohen Gras ab“, sagt Dreher.

gerettetes Rehkitz
Auch wenn es schwerfällt diesen braunen Augen zu widerstehen: Rehkitze sind keine Kuscheltiere und sollten unter keinen Umständen berührt werden wenn man sie in der Natur findet. Foto: privat

Gefahr Nr. 1 für die Rehkitze: Mähmaschinen und freilaufende Hunde

Lebensgefahr für Rehkitze bedeutet auch Mähen von Grünland und Feldfutterflächen. Etwa 1000 Kitze, aber ebenso Junghasen und Bodenbrüter, geraten jährlich in die Messer der Mähmaschinen – insgesamt belaufen sich die Schätzungen auf 100.000 getötete Tiere in Deutschland. Deshalb suchen inzwischen freiwillige Teams mit Drohnen und Wärmebildkameras in der Mahd-Zeit die Wiesen ab, auf denen die Rehe ihre Kitze im Schutz des hohen Grases abgelegt haben: „Zweimal am Tag sind wir unterwegs, fangen so gegen 2.30 Uhrnachts an“, berichtet Dreher. Aber auch hier herrscht Notstand: Sponsoring von mehr Schutz-Drohnen würde helfen – Landwirtschaft, Tierschutz und Jäger müssten noch enger zusammenarbeiten.

Der Kitzretter appelliert zudem an Hundehalter, mit ihren Tieren auf den Wegen zu bleiben – und vor allen Dingen: „Den Hund nur an der Leine laufen lassen!“ Dreher weiß, wovon er redet: Er sieht immer wieder schlimme Verletzungen der kleinen Kitze, die von Hunden stammen. Wer übrigens meint, ein süßes kleines Kitz wäre ein wunderbares Haustier, der irrt gewaltig: Ausgewachsene Rehböcke können schnell zu einer lebensbedrohenden Gefahr werden.

Wer jetzt meint, Alexander Dreher wäre „tierisch“ ausgelastet, darf noch einmal staunen. Die Frage danach bringt nicht nur ihn, sondern die ganze Familie zum Lachen. Drei Hunde, zwei Schafe, zwei Ziegen, fünf Gänse, Hühner und ein Hahn, vier Kaninchen und Farbmäuse haben auf dem Hof ebenfalls ihr Zuhause gefunden. Es spreche sich rum, dass er nicht nein sagen könne, wenn ihm ein Tier gebracht werde. Doch alle, sagt er, könne er nicht behalten.

Rehkitze Rettung: Fütterung per Hand
Die ersten Tage in der Rettungsstation sind besonders kritisch. Die Rehkitze werden per Hand mit der Flasche gefüttert. Foto: privat

Wenn Sie die Rehkitz Rettung unterstützen möchten, finden Sie auf der Seite der Wildtierrettung Bad Waldsee weitere Informationen sowie die Kontaktdaten für ein Spendenkonto.